preußische Armee

 

     
 
Die Reorganisation der preußischen Armee.

Außenpolitisch galt Preußen seit seiner Demütigung von Olmütz in den Augen Europas kaum noch als Großmacht. Als es im Krimkrieg neutral blieb, war man in England empört, weil dort der Glaube vorherrschte, auf den traditionellen Festlandsdegen einen selbstverständlichen Anspruch zu besitzen. Noch im Jahr 1860 schrieb die Londoner »Times«, das Königreich der Hohenzollern dränge sich nicht danach, auf den Schlachtfeldern Europas zu erscheinen; es lasse sich lieber auf Konferenzen vertreten.

Seit 7. Oktober 1858 führte Prinz Wilhelm die Regentschaft an Stelle seines erkrankten Bruders; mit einem neuen Ministerium aus Anhängern des »Mehrheitsliberalismus« und nur noch zwei Mitgliedern des alten konservativen Kabinetts. Die zustimmende Bezeichnung des eingeschlagenen Regierungskurses in der Öffentlichkeit als »Neue Ära« wollte andeuten, daß der Bruch mit der Reaktion vollzogen war.

Prinz Wilhelm faßte die Durchführung der Heeresreform als Existenzfrage schlechthin im Sinne der historischen Mission Preußens auf, und als Berufssoldat sah er sie als sein eigenes Werk an. Das Sinnen und Trachten des Prinzregenten Wilhelm hatten die Erlebnisse im Revolutionsjahr außerordentlich beeinflußt. Hinzu war nun aber noch die erniedrigende Retirade von Olmütz gekommen, die seitdem Preußens außenpolitische Schwäche der Weltmeinung offenlegte.


    Wilhelm I

Die zurückliegenden Wochen hatten erneut die Mißstände im preußischen Kriegswesen erwiesen. Nicht im Hinblick auf die innere Haltung der Landwehr, auch die Herstellung der Operationsbereitschaft war nicht mehr so umständlich und zeitraubend wie vor 10 Jahren verlaufen. Um so nachteiliger und krasser sind die Folgen des damals üblichen Aushebungssystems im gesamten Staatsgetriebe wirksam geworden. Hatten die Rekrutenquoten 1820 noch 50 % des Aufkommens betragen, so verminderten sie sich bis 1857 in Relation zur vermehrten Bevölkerung auf 26%. Nach wie vor rückten jährlich nur 40.000 Wehrpflichtige ein, so daß rund 25.000 kriegstüchtige junge Männer unausgebildet blieben. 

Boyens eigentümliche Wehrverfassung aus dem Jahr 1814, die bei langer Friedensdauer ohnehin den veränderten Verhältnissen angepaßt werden mußte, wurde aber noch weiter untergraben. Winterbeurlaubungen und Reduktion der Linienkader bis auf 522 Köpfe pro Bataillon aus Ersparnisgründen zwangen 1833 dazu, die Dienstzeit auf zwei Jahre zu verkürzen, damit man die Landwehreinheiten »mit Mannschaften speisen« konnte. Nach Boyens Idee sollte die Landwehr doch aus gründlich geschulten Reservisten bestehen. Da ihr erstes Aufgebot bei jeder Mobilmachung sofort einrücken mußte, standen die älteren Leute in Reih und Glied, während im gleichen Maße 20—24jährige junge ungediente Männer daheimblieben. 1859 waren davon insgesamt 55.277 Familien betroffen, die ihre Gemeinden gesetzlich zu unterstützen hatten, weil die Ernährer zu Felde zogen. Andere hohe Kosten verursachte die Lieferung der Landwehrkavallerie-Pferde durch die Landkreise, die den Ackerbau unangemessen belastete und außerdem durchweg undressierte Tiere zusammenbrachte. Solche enormen Ungerechtigkeiten des Gesetzes und unrentablen Geldausgaben, natürlich auch der ungleichmäßige Ausbildungsstand zwischen Linie und Landwehr, erforderten nicht zu bestreitende Abänderung. Nach Ansicht des Prinzregenten bestand sie in folgenden Maßnahmen: 
1.) Verjüngung der Armee durch herabgesetzte Dienstpflicht von 19 auf 12 Jahre (bis zum 32. Lebensjahr), die Feldregimenter bestehen aus acht Jahrgängen, davon fünf in der Reserve, die ältesten Soldaten 28 Jahre. 
2.) Umstrukturierung der Landwehr; die drei jüngeren Jahrgänge ihres ehemaligen 1. Aufgebots zählen zur Reserve und werden bei Mobilmachung ins Feldheer eingereiht, die älteren vom 29. bis 32. Lebensjahr übernehmen die Aufgaben des früheren 2. Aufgebots im Festungs- und Etappendienst, während der letzten Wehrpflichtzeit einmal zu einer achttägigen Übung zusammengezogen. Die Landwehr-Kavallerie soll aufgelöst werden. 
3.) Vermehrung der Truppenstämme bei gleichzeitiger Erhöhung der jährlichen Rekrutenquoten auf rund 63.000 Mann. 
4.) Beibehaltung der 1856 wieder eingeführten dreijährigen Dienstzeit im stehenden Heer. 
5.) Vergrößerung und Vermehrung der Militärbildungsanstalten für Offiziere und Unteroffiziere.

Streit um den Wehretat

Gegen die mit 1.002 Mann angesetzte Kriegsstärke der Bataillone erhob der Kriegsminister v. Bonin Bedenken, weil sie bei dreijähriger Dienstzeit entsprechend hohe Friedensetats erfordern und somit die Staatsfinanzen zu sehr belasten würde. Mehr noch fürchtete er die Opposition des Landtages, wenn der Regent, wie man im Ministerium der »Neuen Ära« überzeugt sein konnte, das Wehrprogramm aus eigener Machtvollkommenheit durchsetzen wollte. 

Prinz Wilhelm war aber nicht willens, an seiner Zielsetzung irgend etwas zu ermäßigen; weder in der Dienstzeit- noch in der Etatfrage. Schließlich handelte es sich darum, im Kriegsfalle »50.000 Mann Infanterie mehr vor dem Feind« zu haben. Als der Regent von seinem Kriegsminister Aufklärung über dessen passive Resistenz verlangte, erbat dieser den Abschied. An Bonins Stelle trat am 5. Dezember 1859 der Kommandeur der 14. Division in Düsseldorf, Generalleutnant Albrecht v. Roon. Der Nachfolger hatte bereits auf Ersuchen des Obersten Befehlshabers eine eigene Denkschrift zur Heeresreorganisation vorgelegt und in der ad hoc berufenen Beraterkommission mitgewirkt. Er war schon im badischen Feldzuge als Armeekorps-Chef dem Prinzen Wilhelm persönlich eng verbunden.


Kasernenhof                

Wissenschaftlich gebildet, gehörte er zu den markantesten Vertretern des neupreußischen Militäradels, der sich in der Kontinuität jener Kriegerkaste sah, auf der die einst erkämpfte Machtstellung des Königreiches beruhte; unbegütert, selbstlos, doch mit festem Rückgrat in freiwilliger Aktivität jederzeit zum pflichtgemäßen soldatischen Dienst am Staat bereit. Von nun an stand er in unbedingter Gefolgschaftstreue seinem Herrn zur Seite, von der Unantastbarkeit der königlichen »Prärogative« wie vom Schwergewicht der gestärkten Armee für Preußens und Deutschlands Zukunft felsenfest überzeugt. In diesem Sinne bedeutete ihm sein Amt keineswegs bloß ein untergeordnetes Fachressort, das allein militärische Interessen zu vertreten hatte. Roon faßte es als zentrale, eminent staatspolitische Position auf.

Auffüllung der Linie

Mit der Demobilisierung der Armee nach beendetem italienischen Krieg waren die Feldformationen nicht auf ihren Friedensetat zurückgeführt worden. Sie bildeten den Grundstock der sich unmittelbar anschließenden Reorganisation. Die Mannschaften der Landwehrinfanterie und die ältesten Reservejahrgänge der Linienbataillone wurden entlassen. Aus den ehemaligen Landwehrstämmen entstanden ganze. mit Rekruten aufgefüllte Bataillone, unter neu aufgestellten Regimentsstäben zusammengefaßt. Was die Linie hierzu noch abgeben mußte, konnte sie durch noch verfügbaren Ersatz früher nicht einberufener Dienstpflichtiger vom 20. bis 25. Lebensjahr wieder ausgleichen.

Auf diese Weise formierten sich die 32 alten Landwehr- zu neuen Linienregimetern um. Sie erhielten die Nummern 41—72, das erste davon dem Andenken des Feldmarschalls v. Boyen gewidmet. Die acht bisherigen, für den Festungsdienst bestimmten sogenannten Reserveregimenter Nr. 33—40, jetzt als Füsiliere bezeichnet, bekamen die noch fehlenden dritten Bataillone dazu. Die Gardeinfanterie errichtete vier neue Regimenter (3. und 4. Rgt. zu Fuß, 3. u. 4. GardegrenRgt.), das Garde-Reserve-Infanterieregiment wurde als Garde-Füsilierregiment auf drei Bataillone gesetzt. Die Kavallerie bildete aus aufgelösten Ersatzeskadronen und anderweitigen Abgaben je vier neue Dragoner- (Nr. 5—8) und Ulanenregimenter (Nr. 9—12). Die Garde formierte, zum Teil aus den Stämmen der beiden Garde-Ulanen- (Landwehr-) Regimentern (seit 1851) ein zweites Dragoner und ein drittes Ulanenregiment. 


   Einkleidung der Landwehr

Die Regimentsverbände der Artillerie wurden zu drei Fuß- und einer reitenden Abteilung neu geordnet, um eine Fußbatterie vermehrt. Außerdem begann die Errichtung eigenständiger Festungsartillerieregimenter. Die zu jedem Armeekorps gehörenden Pionierabteilungen verstärkten sich zu vollen Bataillonen mit je vier Kompanien, die 1853 errichteten Trainstämme zu regulären Abteilungen mit je zwei Kompanien. Die Landwehr bestand in den bisherigen Regimentern und Bataillonen fort, jetzt mit neu aufgestellten Stämmen für die übungspflichtig bleibenden 9. bis 12. Jahrgänge. Am Jahresende 1860 war der Neubau der Armee zum vorläufigen Abschluß gebracht. 

Am folgenden 2. Januar bestieg König Wilhelm 1. den Thron. Am 18. Januar wurden 142 Fahnen und Standarten der neuen Regimenter einschließlich der sechs Jäger- und neun Pionierbataillone vom Berliner Schloß zum Denkmal Friedrichs d. Großen geleitet, wo die feierliche Weihe stattfand. Der Jubel der dicht gedrängt versammelten Zuschauermassen bedeutete ein populäres Votum für das verjüngte, gestärkte und in die Zukunft gerichtete königliche Volksheer".

Widerstand des Parlaments

Im Parlament stand die Sache anders. Die liberale Landtagsmehrheit stellte sie sich nicht als eine rein militärtechnische Frage vor. Hatte allein schon die Berufung Roons größtes Mißtrauen erregt und den Widerspruch vor dem Anzeichen der »Reaktion« wachgerufen, so wurden sie nun zur Beratung anstehenden Gesetzesentwürfe unter den Gesichtspunkt der Innenpolitik gestellt. Die Linie sei das Machtinstrument des Herrschers, die Landwehr das Rückgrat der liberalen Bewegung. Wenn das Prinzip des »Volkes in Waffen« von 1813 zugunsten des mit der »Neuen Ära« nicht zu vereinbarenden militärisch-monarchischen »Korpsgeistes« verändert werde, erfordere die Stellung des Heeres im Verfassungsstaat um so dringlicher die parlamentarische Kontrolle. In ihrer prinzipiellen Opposition gegen die »höfische Regierung« wollten die links stehenden Abgeordneten die Landwehr mit ihren bürgerlichen Offizieren für den Fall wieder beginnender revolutionärer Kämpfe uneingeschränkt erhalten. Zu solcher Intention bot das aufreizende Benehmen der Junker-Partei im Herrenhause freilich Anlaß genug; denn sie hoffte unverblümt auf den baldigen Sturz des liberalen Ministeriums. Dahin trieben aber auch die liberalen Abgeordneten selbst. Die Höhe der Geldforderung war gewiß nicht populär; sie jedoch als finanzielle Unmöglichkeit zu erklären, verriet ganz unnötige Furcht vor der öffentlichen Meinung im Lande, die sich geändert hatte, als der Bürger merkte, daß die Erleichterung des Wehrdienstes auch etwas kostete. Die beiden am 10. Februar 1860 vorgelegten Gesetzentwürfe über die Verpflichtung zum Kriegsdienst mit der daraus resultierenden Stärke und Zusammensetzung des Heeres und über die Bewilligung von 9 Millionen Talern lehnte die Militärkommission des Landtages ab. Sie erhob der Finanzlast wegen Bedenken, meinte aber die Erhaltung der Landwehr in der Feldarmee und die 2jährige Dienstzeit der Linieninfanterie. Daraufhin zog die Regierung die ganze Miiitärvorlage zurück, um eine neue ins Spiel zu bringen, die sich nur noch auf die zusätzlich benötigte Geldsumme aus »einem außerordentlichen Haushalt« für die Zeit vom 1. Mai 1860 bis 30. Juni 1861 beschränkte. 

Weder die dreijährige Dienstzeit, noch die erhöhte Aushebung bedurfte der Zustimmung des Landtages; denn beides stand bereits im Wehrgesetz verankert. Über die Zuweisung der drei jüngsten Landwehrjahrgänge an die Kriegsreserve der Linie ließ sich streiten, doch wäre das einem Zank um des Kaisers Bart gleichgekommen. Nach gleichem Gesetz trat diese Reserve im Kriegsfalle unter die Waffen, und die Landwehr wurde dann auch nach dem Ermessen des Königs in die Feldarmee eingegliedert.


Roon     

Wer sich unter den Liberalen als Angehöriger der Regierungspartei begriff, war nun einer reinen Budgetfrage gegenübergestellt und mußte in eine schwierige Lage geraten. Das Ende der »Neuen Ära« nahte heran, wenn links vom Zentrum eine zunehmend radikalere Opposition entstand. Um das Druckmittel in der Hand zu behalten, fand man den Ausweg im Kompromiß: am 15. Mai bewilligte das Plenum die geforderten neun Millionen für ein Jahr. Der Finanzminister hatte diese Lösung sehr unbedacht als »Provisorium« bezeichnet. Eine so weit umfassende und tiefgreifende Heeresreorganisation konnte ja nicht »provisorisch« durchgeführt und schon gar nicht wieder rückgängig gemacht werden. Seit dem 15. Mai traten die neuen Regimenter an die Stelle der früheren Landwehr. Nachdem sie vollständig errichtet, uniformiert und mit dem Zündnadelgewehr ausgerüstet waren, mußte zwangsläufig dem »Provisorium« das »Definitivum« folgen.

Im nächsten Jahr wiederholte sich die Prozedur des Kompromisses. Die Regierung verlangte nicht mehr neun, sondern nur acht Millionen Taler, doch für 1861/62 im ordentlichen Haushalt. König Wilhelm hatte das liberale Grundsteuergesetz gegen den heftigen Widerstand des Adels im Herrenhause durchgedrückt, das zur Finanzierung der Heereskosten ausreichte. Alle Voraussagen, die finanzielle Belastung würde den Staat ruinieren, widerlegte der schnelle wirtschaftliche Aufschwung nach überwundener Krise von 1857. Andererseits ließ sich nachweisen, daß Preußen einen viel geringeren Teil seiner Gesamtmittel für das Heerwesen aufwendete als die anderen Großmächte Frankreich und England. Das Parlament genehmigte die Summe nochmals, setzte sie aber auf den außerordentlichen Etat für einmalige und vorübergehende Ausgaben; mit der hinzugefügten Resolution, daß die Vorlage eines neuen, vom Stand des Jahres 1814 abweichenden Wehrpflichtgesetzes unerläßlich sei. Die Mehrheit betrug jetzt nur noch 11 Stimmen. Hinter den geäußerten Vorbehalten stand unmißverständlich die Absicht, die Regierung dem Willen des Parlaments zu unterwerfen.


       Fahnenweihe

In der folgenden Zeit geriet der König immer stärker in die innere Bedrängnis. Die neuen Regimenter standen, wurden aber nur mit Hilfe eingeschränkt bewilligter Gelder unterhalten. Bis auf Roon hielten die Minister nicht mehr einmütig zum Monarchen, sondern neigten Konzessionen zu. Diesen Weg wollte Wilhelm I. auf gar keinen Fall mitgehen. Mit verfassungstreuem Willen hatte er den Thron bestiegen; fern lag ihm der Gedanke, die bewaffnete Macht zum Werkzeug der Reaktion umzubilden. Er dachte aber auch keinen Augenblick daran, sie dem Einfluß einer Parteiregierung zu überlassen und damit eigene Kronrechte preiszugeben. 

Regierte das demokratische Bürgertum allein, stand ihm nur noch ein Scheinkönigtum gegenüber, das der historisch begründeten Natur der preußischen Militärmonarchie zuwiderlief. In ihrer gefährdeten äußeren Lage würde beides Stabilität und Sicherheit untergraben. Wie Wilhelm den konstitutionellen Staat auffaßte, sah er ihn im bleibenden Zusammenhang mit der Geschichte Preußens, die auf der außenpolitischen Erfahrung des ständigen militärischen Druckes gegen die offenen Landesgrenzen, auf dem Erlebnis der Wiedergeburt nach 1807 und dem Geist des Heeres beruhte. Die Verstärkung der Machtmittel bedeutete nicht Machtsteigerung der Krone im Sinne absolutistischer Nebenabsichten, doch der Bestand der Armee durfte auch nicht in jedem Jahr aufs neue vom Parlament in Frage gestellt werden.

Streit um die Dienstzeit

Der Standpunkt des Königs als militärischer Fachmann trat in der heiklen Dienstzeitfrage ohne jede Kompromißbereitschaft zutage. Das hatte seine guten Gründe. Alle Großmachtheere Europas setzten sich aus länger dienenden Berufssoldaten zusammen. Im Unterschied zur Zeit Napoleons forcierte die Auswirkung der Industriellen Revolution mit dem Wandel der Waffentechnik weiter aufgelockerte Gefechtsformen, insbesondere die Ausbildung zum Schützenkampf. Der formale Exerzierdrill erforderte mehr oder weniger kurze Zeit, hingegen das »Gefühl des Zusammenhaltens unter allen Umständen«, nämlich unter den schwierigsten Verhältnissen des Dorf- und Waldgefechtes, längeres Einleben. Damit war natürlich auch die Erziehung zum »standesbewußten« Soldaten im preußischen Königsheer gemeint. Weiterhin ging bei zweijähriger Dienstdauer die Friedenspräsenz jeweils im Herbst von 210.000 auf 160.000 Mann zurück; eine kritische Zeit über bestanden die Bataillone zur Hälfte aus ungeübten Rekruten. Solche »Scheinbataillone« konnten in der damaligen Umstellungsphase auf die praktische Anleitung zum modernen Felddienst für die jüngeren Offiziere und Unteroffiziere selbst keine genügende Schule bieten. 

Schließlich sollten festgefügte Einheiten zusammenwachsen, die im Kriegsfall die Reservisten ohne jede Schwierigkeit einzugliedern hatten. An Beurlaubungen durfte niemand mehr denken. Außerdem gewann man den dringend benötigten Unterführernachwuchs erfahrungsgemäß erst im dritten Dienstjahr. Im November 1861 verschärfte sich die innenpolitische Lage. Die äußerste Linke des Abgeordnetenhauses hatte sich schon zuvor als »Deutsche Fortschrittspartei« konstituiert und sogleich ihr Wahlprogramm verkündet: Zweijährige Dienstzeit, Erhaltung der Landwehr, energische Außenpolitik und unverzügliche Bildung einer preußisch-deutschen Zentralgewalt unter voller parlamentarischer Kontrolle. 


Marsch durch die Heimat      

Die Wahlen am 6. Dezember brachten den Fortschrittlern bereits 109 Sitze ein, während die konservative Fraktion auf 25 zusammenschrumpfte. Der neue Landtag wurde zunehmend von der radikalen Strömung beherrscht. Wie die Regierung auf ihrer Gesetzesvorlage bestand, so die Abgeordneten auf ihrem Budgetrecht. Die Mehrheit erklärte offen den Krieg gegen die Heeresreorganisation und forderte einen detailliert aufgeschlüsselten Haushaltsplan, um jede unkontrollierte Geldausgabe für militärische Zwecke zu verhindern. Die Folge davon war, daß die liberalen Kabinettsmitglieder ihren Rücktritt einreichten, und die Altliberalen staunten über den Bruch mit dem eigenen Ministerium. Am 6. März löste der König den Landtag auf, doch die Neuwahlen am 6. Mai bescherten der Opposition eine überwältigende Majorität, der Fortschrittspartei allein 141 Mandate.

Verweigerung des Heeresetats - Bismarck wird Ministerpräsident

Die neue konservative Regierung legte ihren Haushaltsplan vor; den Wünschen des Parlaments entsprechend aufgegliedert, dank des wachsenden Wohlstands im Lande unter Verzicht auf die 1859 genehmigten Steuerzuschläge. Am 23. September 1862 verwarf das Abgeordnetenhaus die Mehrausgaben für die Heeresreform wie auch für den kleinen Flottenhaushalt unwiderruflich mit 308 gegen 11 Stimmen. Schon der Prinzregent hatte zur Frühzeit des Parlamentsstreites intern die Absicht laut werden lassen, zugunsten seines Sohnes abzudanken, falls die Militärvorlage nicht durchginge. Da jetzt der Konflikt irreparabel ausgebrochen war, erwog er den Gedanken ganz ernsthaft. 


 Bismarck

Er wollte weder sein kriegsherrliches Amt inhaltlos zum Ruin der Armee weiterführen, noch im Bruch mit seinem Verfassungseid den Staatsstreich riskieren. Seine Entscheidung war die Wahl eines letzten, lange Zeit von sich gewiesenen Mittels. Auf Betreiben Roons, des einzigen politischen Kopfes im konfusen Kabinett, wurde der »verrückte Junker« Otto v. Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt; am 23. September 1862 interimistisch, am 8. Oktober endgültig. Da sich der Heereskonflikt inzwischen zum Verfassungskonflikt ausgeweitet hatte, wirkte schon die erste Nachricht davon wie ein Ölguß ins offene Feuer. 

Trotzdem suchte der neue Mann an der Spitze der Staatsleitung, sich mit den Liberalen auszusöhnen, und um Zeit zur Vermittlung zu gewinnen, zog er den Haushaltsvorschlag zurück. Bei seiner vertraulichen Darlegung der Gründe für die zwingende Notwendigkeit der Heeresreform vor der Budgetkommission war ihm freilich der psychologische Fehler unterlaufen, die im liberalen Lager bereits mehrfach vertretene Ansicht über die Lösung der deutschen Frage als einer reinen Machtfrage durch die gezielte Anspielung auf Max v. Schenkendorfs Gedicht vom »Eisen und Blut« noch zu überspitzen. »Mit dieser Formulierung hatte er die Fassungskraft und auch die Diskretion der Abgeordneten überschätzt.« Ihnen war der Konflikt, den Bismarck nicht so tragisch zu nehmen hat, »wichtiger als alle europäischen Probleme zusammen«. Ein zweigeteilter Staat wie Preußen, doppelt verwundbar gegenüber ausländischem Druck, konnte diese Schwäche durch die Stärkung seiner bewaffneten Macht nicht voll ausgleichen und durfte ihre autonome Stellung um so weniger dem innenpolitischen Kräftespiel ausliefern.

Die »Lückentheorie«

Als sich die Regierung der Parlamentsmehrheit nicht fügte, wurden die Abgeordneten am 13. Oktober in die Ferien geschickt. Weil auch kaum Aussicht auf Einigung bestand, wenn die Session Anfang 1863 wieder begann, vertrat Bismarck jene Rechtsauffassung, die sich nach vorliegendem staatsrechtlichen Gutachten auf die »Lückentheorie« stützte: Wenn die drei für die Gesetzgebung zuständigen Organe - König, erste und zweite Kammer - nicht übereinstimmen (das Herrenhaus lehnte den vom Abgeordnetenhaus geänderten Haushaltsplan ab), kann die in der Verfassung angenommene »Lücke« keinesfalls das Staatsleben blockieren. Bei eingetretener Budgetlosigkeit muß dann die Regelung des Vorjahres weitergelten. 

Folglich ist auch die durch frühere Billigung geschaffene Heeresformation aufrechtzuerhalten, die für das Staatswohl unumgänglichen Ausgaben sind vorderhand auf eigene Verantwortung zu bestreiten; allerdings in der Zuversicht, daß dafür die nachträgliche formelle Genehmigung des Abgeordnetenhauses erfolgen wird. Damit hatte der Ministerpräsident den Konflikt noch verschärft. Das Parlament stand in vollstem Aufruhr. Der fortschrittliche Abgeordnete Rudolf Virchow gab einem englischen Politiker seine Absicht kund: »Ich will gar keinen Kompromiß mit der Regierung; ich will den König dahin treiben, daß er die Kammern nach Hause schickt und die Verfassung aufhebt; daraus muß sich dann später eine Revolution ergeben.« Dafür ließ sich in Preußen natürlich kein Boden bereiten.


Beratung der Armeeorganisation

Die Regierung verfügte über eine absolut zuverlässige Armee und einen ungestört laufenden zivilen Verwaltungsapparat mit staatstreuem Beamtentum. Außerhalb des Abgeordnetenhauses schritt das Leben ruhig fort, wenngleich einzelne Leute den König auf der Straße nicht mehr grüßten. Steigende wirtschaftliche Prosperität füllte den Staatsschatz auf und schuf überschüssige Geldmittel, die zur Finanzierung der Heeresreorganisation ausreichten. Von den daraus erwachsenden ökonomischen, sozialen und militärischen Kräften durfte der regierende Staatsmann am Ende doch den Erfolg seiner zielgerichteten Politik erhoffen. Wiederum stand Preußen an der Spitze administrativer Solidität. Im Hinblick auf den immer deutlicher hervortretenden Einigungswillen der deutschen Nation bot es den denkbar stärksten staatlichen Rückhalt.

Verjüngung des Offizierskorps

Nach Abschluß der Armeereformation setzte sich die Arbeit an ihrer inneren Stärkung emsig fort. Sie hatte damit begonnen, daß die Führerschaft gebieterisch verjüngt wurde. Mancher ergraute Kommandeur, der dem frischen Geist nicht mehr zu folgen vermochte, grollte über den »blauen Brief«, den ihm der Chef des Militärkabinetts, General v. Manteuffel, ins Haus schickte. Die Tüchtigeren rückten auf, die noch Kriegserfahrenen gelangten auf wichtigere Plätze nach Maßgabe ihrer Verwendungsfähigkeit. Mit der Vermehrung um 1345 Offizierstellen nahm der Anteil des Nachwuchses aus dem Bildungsbürgertum deutlich zu, nachdem bisher in den Regimentern der ostelbischen Kernprovinzen, von der Garde ganz abgesehen, der Adel das große Übergewicht gebildet hatte. Auch Landwehroffiziere traten zur aktiven Truppe über, die es sich zur Ehre anrechneten, »Offiziere seiner Majestät des Königs zu sein«. In der Stettiner 3. Division waren es 41, wie der damalige Kommandeur Prinz Friedrich Karl stolz bezeugte. Sie alle umschloß gleichmäßig, ohne jede soziale Unterscheidung, das enge Band einer homogenen soldatischen Korporation; nicht anders, als es Scharnhorst im Jahre 1808 geknüpft hatte.

Der Generalstab

Der bald weltberühmt gewordene Generalstab stand zunächst noch nicht im hohen Range einer leitenden Kommandozentrale. Sein Chef Helmuth v. Moltke war zwar den kommandierenden Generalen direkt unter dem König mit dem Recht des Immediatvortrages gleichgestellt, doch dazu gab es wenig Gelegenheit. Nicht einmal der Berater-Kommission gehörte er an, die die ungemein schwierige Arbeit zur Realisierung der Heeresreform zu leisten hatte. 


  Moltke

Die Erinnerung an Gneisenaus Feldherrntum in den Befreiungskriegen muß ziemlich verblaßt gewesen sein; denn »der Generalstab erschien damals als eine Art akademisches Institut, an dessen Spitze man den gelehrtesten General stellte«. Erst am 2. Juni 1866 erging die Weisung über die epochemachende Funktion des »großen Chefs«. Die bisher von ihm nur entworfenen, jedoch vom Kriegsminister ausgefertigten und den Truppen zugestellten Befehle waren von da ab durch Generalleutnant v. Moltke im Namen des Königs an die nachgeordneten Kommandobehörden zu schicken. 

Die geistige Vorbereitung des Krieges, die mit den technischen Errungenschaften einer neuen Zeit rechnen konnte, hatte aber schon Jahre zuvor im preußischen Generalstab begonnen. Sie betraf die Probleme der modernen Operations- und Truppenführung, der Mobilmachung und des schnellen Aufmarsches, die aus dem wissenschaftlichen Studium die Erkenntnis der Bedeutung weiterentwickelter Arbeitsmethodik gaben. Unter dem Gesichtspunkt der Selbständigkeit und der Eigeninitiative galt es, die Armeeführerschaft einheitlich auszubilden, doch auch dahingehend zu erziehen, daß keine Eigenmächtigkeit die übergeordnete Führungsabsicht durchkreuzte. Dieses an sich nicht neue Auftragsverfahren, das den Ruhm der preußischen Waffen in den Einigungskriegen wohl am stärksten begründen sollte, hat Moltke zu abschließender begrifflicher Klarheit gebracht. Die Hauptmaxime steht in seinen »Bemerkungen vom März 1858 über die Übungsreisen des Generalstabes«. Die wesentliche Stelle lautet: »Als Regel ist festzuhalten, daß die Disposition alles das, aber auch nur das enthalten muß, was der Untergebene zur Erreichung eines bestimmten Zweckes nicht selbständig bestimmen kann«. Damit schuf Moltke den zeitgemäßen, einzigartigen Typus des geistig planenden Generalstäblers, und »in der Planmäßigkeit im Großen«, weniger in der »genialen Improvisation«, lag die Garantie seiner späteren Erfolge, die als schwerlastendes Erbe in die deutsche Militärgeschichte eingegangen ist.

Einführung moderner Waffen - neue Kampftechnik

Mit der Armeereorganisation und der generellen Einführung des Zündnadelgewehrs, bald gefolgt vom gezogenen Geschütz, waren die Ereignisse des italienischen Krieges zusammengetroffen, so daß daraus die neue theoretische Gefechtslehre resultierte. Schon ein Jahr zuvor hatte Moltke auf die Notwendigkeit hingewiesen, gegenüber dem Fortschritt der Waffentechnik die Taktik zu ändern. Künftig müsse die Waffenentscheidung im Feuerkampf gesucht werden, der Infanterieangriff erfordere die aufgelockerte Form der kleineren Kompaniekolonne, auch um die Entwicklung zum Schützengefecht zu beschleunigen, und die Artillerie bedarf dringend der gesteigerten Wirksamkeit durch die Einführung des gezogenen Hinterladers. 

Aus den Berichten über den italienischen Krieg erkannte der Generalstabschef, der in seiner Stellung die neuen Ausbildungsrichtlinien zu entwerfen hatte, mit sicherem Scharfblick, daß die verfehlte österreichische Stoßtaktik jeder feindlichen Feuerüberlegenheit gleichsam die Hand reichen und den siegbringenden Gegenangriff erleichtern würde. 1861 schrieb Moltke: »Es wird die Aufgabe einer geschickten strategischen Offensive sein, den Gegner zum Angriff einer von uns gewählten Stellung zu nötigen, und erst, wenn Verluste, Erschütterung und Ermattung ihn erschöpft haben, werden wir auch die taktische Offensive ergreifen.« Die schwierige Aufgabe, die Infanterie erst auf die wirksame Schußentfernung von 300 Schritt heranzuführen, müßten »das Terrain, die eigene Artillerie und das Feinschießen ermöglichen«. 


Garde-Landwehr          

Dieses gründlich vorbereitende Angriffsverfahren war schon im Verhältnis Hinterlader gegen das treffsichere und weitertragende Vorderladergewehr zwingend geboten; es verlangte absolute Gültigkeit bei erreichtem Gleichstand der Waffen.

Mit den 1861 vom Generalstab herausgegebenen »Verordnungen über die Truppenübungen« hatte die Armee Instruktionen für das moderne Gefecht erhalten. Davor war im längst veralteten Reglement von 1847 natürlich nichts enthalten, aber die taktischen Anschauungen sollten außerhalb des Exerzierplatzes auch nicht länger an seinen Formalismus gebunden bleiben. Das neue »grüne Buch« war für die Praxis des Krieges bestimmt. Es diente als Ersatz, und man verhinderte, daß sich die kriegsnahe Ausbildung weiter mit überflüssigen Revuepraktiken befrachtete. Vorwiegend lag sie in der Hand der jüngeren Subalternoffiziere, insbesondere der Kompanie-Chefs, die zur Selbsttätigkeit angehalten ihren Dienst mit Eifer verzichteten. Strammes Exerzieren und die strenge Beachtung der äußeren Formen traten freilich nicht in den Hintergrund; denn beides bildete wesentliche Komponenten preußischer Soldatendisziplin. Nachteilig für die revolutionierende Umstellung in der Taktik erwies sich allerdings, daß damals mancher Bataillonskommandeur, der ans Althergebrachte zu sehr gewohnt war, seine Mühe hatte, die Kompanie-Kolonne im raschen Wechsel von der geschlossenen zur geöffneten Ordnung wendig und fix zu handhaben. Es gab aber treibende Kräfte in erstaunlichem Ausmaß, die den Prozeß der Begriffsklärung voranbrachten. Dazu wurde der allgemeine Aufschwung der militärischen Fachliteratur zu jener Zeit als Forum benützt. Viele, vor allem jüngere Offiziere trugen durch ihre zahlreichen Publikationen zur Erkenntnis und Belehrung bei. U. a. veröffentlichte der Kommandeur des Lehr-Bataillons Oberstleutnant v. Kessel 1863 seine hilfreiche Arbeit »Die Ausbildung des preußischen Infanterie-Bataillons im praktischen Dienst«. Bereits 1860 war die auch im Auslande stark beachtete Anleitung für »Die Methode zur kriegsgemäßen Ausbildung der Infanterie und ihrer Führer im Felddienste« aus der Feder des im Ruhestande lebenden Generalleutnants Graf v. Waldersee schon in zweiter Auflage (die erste 1848!) erschienen. Selbst Moltke schrieb 1865 den Aufsatz »Bemerkungen über den Einfluß der verbesserten Schußwaffen auf das Gefecht« für das Beiheft zum »Militär-Wochenblatt«. Kriegsministerium und Generalstab zeigten großes Interesse an der offenen Diskussion über die speziellen Fragen der Taktik, Führung und Ausbildung, damit ihre Ergebnisse im Offizierkorps Verbreitung fanden, aber auch in die späteren amtlichen Vorschriften eingearbeitet werden konnten. 


              Mörser

Dennoch ist zu sagen, daß die taktische Reorganisation der preußischen Armee ihrer Zeit nicht vorauseilte. Wer allzu stürmisch auf nicht länger aufschiebbaren Fortschritt drängte, sah sich immer noch veralteten Anschauungen gegenübergestellt. Ein Teil der Taktiker hielt am überholten Grundsatz fest, wonach das Gefecht in der zerstreuten Ordnung des Schützenschwarmes nicht einheitlich zu leiten sei und der Bajonettstoß das entscheidende Moment jeder Angriffshandlung bilde. Erst nach dem Krieg von 1864 wurde die Kompanie-Kolonne zur Grundformation.

Das änderte nichts am positiven Gesamtzustand der Armee, die der frische Wind eines produktiven geistigen Strebens durchwehte. Jener »sieghaften Denkarbeit« sind ihre überwältigenden Erfolge von 1866 primär zuzuschreiben. Darin kam die Verjüngung des Offizierkorps zum Ausdruck, wodurch ein »großes Kapital an Selbsttätigkeit flüssig« wurde und der Einfluß des Führers auf die Truppe sich ins Vielfache steigerte. Im Vertrauen auf den Sieg sollte er seinen Untergebenen das Bewußtsein der Unüberwindlichkeit stärken; als Regel sollte gelten, daß »möglichst alle von den Absichten, die im Gefecht speziell vorliegen, unterrichtet werden«. Die Heeresschule zielte auf die volle kriegerische Tüchtigkeit eines jeden Soldaten auf die individuelle Entwicklung seiner körperlichen Kräfte, seiner Leistungsfähigkeit im Schießen und seiner moralischen Eigenschaften ab. Im Unterschied zu Österreich besaß Preußen das bessere Zivil-Schulsystem, das Mannschaft und Unteroffiziere auf ein höheres Bildungsniveau hob. Dazu bezog die allgemeine Wehrpflicht auch die Intelligenzschicht in den Militärdienst ein, so daß sich allein schon aus beiden Vorteilen der entsprechende Ausbildungsstand mit geistig und fachlich überlegenen Unterführern ergab. Mit ruhiger Zuversicht blickte der Militärkönig auf seine Regimenter, wenn er sie inspizierte; er freute sich über die Wirkungskraft der Uniformität in den Anschauungen der Truppenpraxis, sah auch über nützliche Abweichungen vom Exerzierreglement hinweg und tadelte nur, wo dienstliche Nachlässigkeit anzutreffen war.

Das durch Wilhelm I. reorganisierte Heer marschierte auch ohne den Vorzug reicher Kriegserfahrung allen Konkurrenten in Europa voran. Es stand auf einer Leistungsstufe, »wie sie Preußens Waffenmacht wohl nur vor dem Siebenjährigen Kriege ein letztes Mal« erreicht hatte. Es erscheint seltsam, daß man im Ausland davon bis zum Waffengang im Jahre 1866 so wenig bemerkte. Der als Militärexperte dilettierende Friedrich Engels sah auf österreichischer Seite absolute Überlegenheit. Ihre numerische Stärke sei gesichert, ihre oberste Führung durch Benedeks alleinigen Befehl in kräftiger Hand, alle Armeekorps ihm unmittelbar unterstellt, die Truppen von allen üblen Gewohnheiten im italienischen Krieg gründlich kuriert, und sogar ihre Kolonnenformation wäre infolge Übernahme des französischen Musters »dem Artilleriefeuer kaum mehr ausgesetzt als eine deployierte Linie«. 

Demgegenüber die Preußen: Unter der Führung eines königlichen »Paradesoldaten von bestenfalls mittelmäßigen Fähigkeiten und schwachen, aber oft halsstarrigen Charakter«, umgeben von Generalstab, Militärkabinett und »endlosen Kriegsräten« wie anno 1806, so daß die Niederlage bereits in der Organisation des Hauptquartiers beschlossen läge. Auch gegen den Heeresaufmarsch erhob Engels einen seiner Ansicht nach schwerwiegenden Einwand. Die Teilung in zwei große Hälften verletze die Einheit des Kommandos; denn daraus müßte sich eine fehlerhafte Koordinierung der Bewegungsmanöver auf zwei Operationslinien in Reichweite des Feindes ergeben. 


reitende Artillerie            

Nicht zuletzt aber glaubte er zu wissen, daß die sehr zahlreichen preußischen Reservisten und Landwehrmänner ganz gegen ihren Willen ins Feld zögen, wo sie eine kampflustige, also auch moralisch stärkere Armee mit Ungeduld erwarte. Nach Königgrätz erkannte derselbe Kritiker den Preußen »ausgezeichnete Verfassung« zu, obgleich daran »der Rost von 50 Friedensjahren saß« und ein derartiges Feldzugsresultat »niemand hätte erwarten können«.

Erfolg der Heeresreorganisation

Kaum anders war die Reaktion in ganz Europa. In Paris hatten die Wetten zugunsten eines österreichischen Sieges auf 4:1 gestanden. Deshalb Kaiser Napoleons Ermunterung der Italiener zum Bündnis mit den Preußen, um aus seiner Schiedsrichterrolle wohlfeilen Gewinn schlagen zu können. Staatsmänner und Parteiführer in den meisten Ländern des Deutschen Bundes samt ihrer Presse hatten nicht daran gezweifelt, daß nach der militärischen Schlappe die Regierung Bismarcks kläglich zusammenstürzen würde. Fast überall war die Meinung vertreten worden, der innere Konflikt werde den Beweis für Preußens Wehrlosigkeit erbringen, zumindest für nicht genügende Standhaftigkeit. Man rechnete mit Aufruhr in Berlin und täuschte sich über den Mangel an Kriegsbegeisterung, der jedenfalls bis zum Eintreffen erster Siegesnachrichten vorzuherrschen schien. Die zahlreichen Friedensdemonstrationen blieben nicht ohne tiefen Eindruck.

Indemnitätsvorlage

Mit dem Sieg von Königgrätz am 3. Juli war die Notwendigkeit der Heeresreorganisation schlagartig erwiesen, auch im Hinblick auf die Fortsetzung von Preußens deutscher Politik. Gleich dem »Charakter eines Plebiszits« wie schon im Revolutionsjahr 1848/49 hatte das Volksheer der Opposition vor Augen geführt, daß der Friede zwischen König und Volk in Wirklichkeit niemals ernsthaft unterbrochen gewesen ist. Schon bei der zufällig am 3. Juli stattgefundenen Neuwahl schrumpfte die Fortschrittspartei um die Hälfte ihres Bestandes zusammen. Angesichts des unbeschreiblichen Jubels und des Meinungsumschwunges kam der Moment, den Verfassungskonflikt zu begraben. Bismarck schätzte den Machterfolg seines Handelns realistisch ein und reichte die Hand zur Versöhnung, die Preußen jetzt dringend brauchte, damit wieder mit solider Parlamentsmehrheit regiert werden konnte.


 König gratuliert Kronprinz

Er legte ein Gesuch um »Indemnität« vor, das nachträgliche Anerkennung des dem Anschein nach verfassungswidrigen Haushaltsführung erbat. Die Annahme des Antrages stellte den inneren Frieden her. Ein Wortführer der Linken, der Rechtsexperte Professor Gneist, bescheinigte der Regierung, daß sie die Finanzen korrekt verwaltet hätte. Den Ministerpräsidenten störte es nicht im geringsten, daß ihm die ehemaligen liberalen Gegner »Straflosigkeit« bewilligt hatten. Er wollte sie gewinnen, und in den neu erworbenen Provinzen dazu. 

Das Königtum war gestärkt aus dem politischen Kampf hervorgegangen, auch die Verfassung des neuen Norddeutschen Bundes ruhte auf der Grundlage seines Sieges. Mit der Verfügung über den Bestand der Armee »besaß die Krone einen realen Machtfaktor, der ihr das Übergewicht im Staatsleben sicherte«. Dennoch hatte der Sieger mit der Bitte um Indemnität dem weiteren Verlauf der innenpolitischen Entwicklung, so weit sie wie zur Konfliktszeit von der Ideologie des »antimilitaristisch«-liberalen Denkens bestimmt wurde, Vorschub geleistet. Der Kompromiß überdeckte nur, was auf dem Grunde des verfassungsstaatlichen Gefüges weiterschwelte.

Die Armee des Norddeutschen Bundes

Mit Abschluß der endgültigen Friedensverhandlungen zwischen Österreich und Preußen am 23. August 1866 in Prag fand die Eingliederung der Elbherzogtümer in den preußischen Staat, die Einverleibung Hannovers, Kurhessens, des Herzogtums Nassau und der freien Reichsstadt Frankfurt statt.

Mit Rücksicht auf die Großmächte sollte der neue Bundesstaat nur bis zur Mainlinie reichen. Damit war das Problem der Annektionen verknüpft, die alle »Feindstaaten« im Krieg gegen Preußen trafen. König Wilhelm hätte zur notwendigen Vereinigung seiner beiden getrennten Reichshälften die angestammten Dynastien lieber nicht entthront und sie nur zu Teilabtretungen genötigt. Bismarck schien es jedoch zu gefährlich für die konsolidierende Entwicklung im Nordbunde, wenn verkleinerte Mittelstaaten feindselig bestehen blieben. Nachdem die verfassungsrechtliche Trennung Nord- und Süddeutschlands durch die Friedensschlüsse dokumentiert war, formierte sich stufenweise jener Norddeutsche Bund, der unter preußischer Führung das Vorbild des Deutschen Reiches bedeutete: zuerst der Beitritt aller norddeutschen Kleinstaaten, dann das Großherzogtum Hessen mit seinem nördlich des Mains gelegenen Landesteil, zuletzt der Anschluß des Königreiches Sachsen. 

Die neue Staatenbildung blieb territorial so begrenzt, daß sich deren Glieder angesichts unermeßlicher Aufgaben fest miteinander verschmelzen konnten; andererseits waren ihre Institutionen so beschaffen, daß sie einem späteren Zusammenschluß mit den süddeutschen Monarchien keine großen Hindernisse entgegenstellten. Was die Heeresfrage anbetraf, so hatte die drohende Kriegsgefahr wegen des Streites um Luxemburg die entgegengesetzten Standpunkte so weit angenähert, daß ein Kompromiß zustande kam. Die Militärreform König Wilhelms konnte niemand mehr ernsthaft in Zweifel ziehen. Artikel 51—68 der Bundesverfassung und das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst vom 9. November 1867 brachten ihre Gültigkeit für ganz Norddeutschland in allen Punkten zum Ausdruck.


           Norddeutscher Bund         

Man hatte sich darauf geeinigt, die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres auf 1 % der Bevölkerung von 1867 zu normieren, und zwar für die Dauer von vier Jahren bis zum 31. Dezember 1871. Auch der Militäretat wurde für diese Zeit festgelegt. Ein Zusatz des Artikels 62 bestimmte jedoch, daß die Beträge von 225 Talern pro Soldat auch nach diesem Termin fortgezahlt werden müßten. Nach Artikel 63 hatte der König von Preußen als Bundesfeldherr die Pflicht wie das Recht, für Einsatzbereitschaft und Schlagkraft aller Truppen zu sorgen. Dementsprechend besaß er die uneingeschränkte Befugnis, das hierzu Nötige - Präsenzstand, Gliederung der Kontingente, Dislozierung, Organisation der Landwehr, Mobilmachung usw. - anzuordnen. Die dreijährige Dienstzeit hatte jetzt nicht der Kriegsminister und Bundeskommissar v. Roon, sondern General v. Moltke als Abgeordneter vor dem Plenum des Reichstages verteidigt.

Die Armee des Norddeutschen Bundes wuchs um mehr als ein Drittel ihres vergleichbaren Bestandes bei Kriegsbeginn 1866 an. Sie hatte 12.924 Offiziere, 299.704 Mann, 73.300 Pferde im Etat, konnte aber im Kriegsfall 1870 einschließlich der Besatzungs- und Ersatztruppen insgesamt 902.064 Mann und 209.403 Pferde mobilisieren. Die Stärke der Feldarmee betrug 433.600 Mann und 1.284 Geschütze. An diesem Resultat ist die feste Hand in der einheitlichen Leitung zu erkennen, nachdem jede angestrebte durchgreifende Reform der alten Bundeskriegsverfassung gescheitert war.

Vergrößerung des preußischen Heeres

Preußens bewaffnete Macht vermehrte sich aufgrund der Annexionen um drei Armeekorps: das IX. in der neuen Provinz Schleswig-Holstein, das X. in Hannover, das XI. in der neu benannten Provinz Hessen-Nassau. Der erhebliche Truppenzuwachs bedingte die Neuaufstellung von 16 Infanterieregimentern (Nr. 73—88), 16 Kavallerieregimentern (Dragoner 9—16, Husaren 13—16, Ulanen 13—16), zwei Jägerbataillonen (Nr. 10 u. 11), drei Feldartillerieregimentern (Nr. 9—11), einer Festungsartillerieabteilung, drei Pionierbataillonen (Nr. 9—11) und drei Trainbataillonen (Nr. 9—11). 


           Fahneneid

Das Kadettenkorps mußte um zwei Voranstalten in Plön und Oranienstein mit je zwei Kompanien erweitert werden, und zu den vier vorhandenen Kriegsschulen traten zwei neue in Hannover und Kassel. Bis auf Kurhessens und Nassaus Kontingente, die man teils geschlossen übernahm, teils mit ihren alten Stämmen den Neuformationen zuteilte, waren alle Truppeneinheiten der von Preußen annektierten Länder aufgelöst worden. Um die Vereinheitlichung zu beschleunigen, wechselten mehrere alte Regimenter zu den Brigaden der neuen Armeekorps über und umgekehrt.

Die Kontingente der nicht annektierten norddeutschen Bundesstaaten basierten, über die Verfassungsbestimmungen zum Militärwesen hinausgehend, auf Militärkonventionen, die sie ins preußische Heer integrierten oder wie im Falle Sachsen und Hessen-Darmstadt als selbständiges Korps bzw. Division anschlossen. Die in den Bund aufgenommenen kleineren Staaten stellten insgesamt acht Infanterieregimenter (Nr. 89—96), vier Kavallerieregimenter (Dragoner 17—19 und Husaren 17) sowie sieben Batterien, die Teileinheiten des IV., IX., X. und XI. Armeekorps bildeten.

Eingliederung der Bundestruppen

Gemäß Militärkonvention hatten die Landesherren entweder auf eigene hoheitliche Militärverwaltung nebst den Rechten der Offizierernennung-Anstellung- und Beförderung an den König von Preußen abtreten müssen oder überhaupt auf eigene Kontingente verzichtet, wie die kleinsten Fürstentümer Lippe, Schaumburg-Lippe, Waldeck, Schwarzburg-Sondershausen und die drei Hansestädte, deren Wehrpflichtige in preußischen Regimentern dienten. Die vier Ländchen hätten die hohen Militärlasten nicht tragen können, doch blieben ihren Scheinsouveränen die Ehrenrechte eines »Kontingentsherren« erhalten. Die reichen Städte Hamburg, Bremen und Lübeck drückten nicht die Finanzen, wohl aber die allgemeine Wehrpflicht. Deshalb wurde den dort stationierten Bataillonen der beiden neuen preußischen Infanterieregimenter Nr.75 und 76 unbegrenzte Aufnahmequoten für den einjährig-freiwilligen Dienst und den in Übersee arbeitenden Leuten Befreiung von der Reservepflicht bis zum Ende der Dienstzeit zugebilligt. Von den aufgelösten hanseatischen Bundeskontingenten traten einzelne Offiziere, Unteroffiziere und Gemeine, insbesondere Spielleute, in die preußische Armee ein.

Die oldenburgischen Truppen formierten aus ihrem Bundesbestand das Infanterieregiment Nr.91, das Dragonerregiment Nr. 19 und zwei Batterien, die zum Artillerieregiment Nr. 10 überwechselten. Aus den Mecklenburgern der Großherzogtümer Schwerin und Strelitz entstanden das Grenadierregiment Nr. 89, das Füsilierregiment Nr. 90, das Jägerbataillon Nr. 14 sowie die Dragonerregimenter Nr. 17 und 18. Die vier Feldbatterien traten als III. Abteilung zum Feldartillerieregiment Nr. 9. Die Pionierabteilung wurde aufgelöst. Herzog Wilhelm von Braunschweig hatte vergeblich die Erhaltung seines Kontingentes innerhalb eines eigenen Brigadeverbandes gefordert. 


Belagerungsartillerie         

Die drei Bataillone kamen als Infanterieregiment Nr. 92 unter das Kommando der 40. Infanteriebrigade, die Husaren als Regiment Nr. 17 zur 20. Kavalleriebrigade, die Batterie zum Feldartillerieregiment Nr. 10; alles integrierende Bestandteile des X. Armeekorps. Bis zum Tode des überaus hartnäckigen Herzogs blieb die gesonderte militärische Stellung Braunschweigs mit dem Hoheitsrecht der Offizierernennung usw. gewahrt. Erst am 18. März 1886 konnte die entsprechende Militärkonvention abgeschlossen werden. Bis dahin hatten die Braunschweiger ihre alten schwarzen Uniformen weitergetragen. Die Abgeschlossenheit des Offizierkorps hörte nun auf, der endgültigen Verschmelzung mit dem preußischen stand nichts mehr im Wege. Im gleichen Jahr kehrten die 92er aus den Reichslanden zurück, wo sie nach beendetem deutsch-französischen Krieg garnisoniert lagen. Eine Druckmaßnahme Bismarcks gegen den renitenten Herzog, um ihn zur Aufgabe seiner »eingebildeten Militärhoheit« zu bewegen.

Die sechs thüringischen Staaten, bis 1866 mit ihren Kontingenten zur Reserveinfanteriedivision des alten Bundesheeres gehörig, mußten sich ebenfalls um die Finanzierung ihres Militärhaushaltes sorgen. Als Erleichterung wurde ihnen die geringere Summe von anfangs nur 162 Talern pro Kopf statt der sonst verlangten 225 gewährt, die dann mit jedem neuen Jahr kontinuierlich auf die volle Höhe ansteigen sollte. Dafür überließen sie Preußen die militärische Reorganisation. So kamen die drei »Thüringischen Infanterieregimenter« zustande: Nr. 94 (Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach), Nr.95 (Herzogtum Sachsen-Meiningen und Sachsen-Coburg-Gotha) und Nr. 96 (Herzogtum Sachsen-Altenburg sowie die Fürstentümer Reuß Ältere und Jüngere Linie). Auch das ehemalige Bundeskontingent des Herzogtums Anhalt war Teil der Reservedivision, doch stand es nach bereits am 29. Februar 1864 abgeschlossener Militärkonvention mit Preußen im engen Verhältnis zur Armee König Wilhelms. Die Umformierung zum neuen Infanterieregiment Nr.93 bereitete dann auch die wenigsten Schwierigkeiten. Alle bisher genannten Regimenter des Norddeutschen Bundesheeres unterschieden sich äußerlich von den preußischen - abgesehen von den Braunschweigern - nur durch Kennzeichen im Bezug auf das Land und seinen Fürsten: andere Embleme der Heimbeschläge und Kokarden, zum Teil auch Namenszüge auf den Schulterklappen und Offizierschärpen bzw. Portepees in den Landesfarben. Die Regimenter Oldenburgs, Mecklenburgs und Anhaits führten ihre alten Fahnen weiter.

Sonderregelung für Sachsen

Das Königreich Sachsen hatte nach seinem Eintritt in den Norddeutschen Bund am 7. Februar 1867 eine besondere Militärkonvention abgeschlossen. Sie bestimmte, daß die sächsische Armee als vereint bleibender Verband einen selbständigen Teil des Bundesheeres bilden sollte: das XII. Armeekorps. Nach preußischem Muster umformiert, lagen seine Truppeneinheiten in den landeseigenen Garnisonen. Laut Artikel 1 der Konvention führten die Regimenter und selbständigen Bataillone die laufenden Nummern im Anschluß an die anderen elf Korps: Infanterieregiment Nr. 100—107, Schützenregiment Nr. 108, Jägerbataillon Nr. 12 und 13, neben den vier alten Reiter-Regimentern die beiden neugebildeten Ulanenregimenter Nr. 17 und 18, Feldartillerieregiment Nr. 12 sowie Festungsartillerieregiment Nr. 12 einschließlich Pionier- und Trainbataillon.


        Viehtransport

Das sächsische Kriegsministerium bestand fort, wenngleich die Organisation der Verwaltung, auch die Einteilung in stehendes Heer, Reserve und Landwehr, die Art der Aushebung wie sämtliche Dienst- und Exerzierreglements den für die Norddeutsche Bundesarmee gültigen, d. h. preußischen Normen zu entsprechen hatten. König Johann ernannte sämtliche Offiziere mit Ausnahme des Kommandierenden Generals, die anderen mit Einverständnis des Königs von Preußen, dem sie ebenfalls einen zusätzlichen Eid leisten mußten. 

Der Bundesfeldherr besaß das Inspektionsrecht, durfte jedoch festgestellte Mängel nicht beseitigen, ohne den sächsischen Monarchen darum ersucht zu haben. Auch trat das XII. Armeekorps erst im Kriege unter seinen Befehl. Das Dislokationsrecht wollte er nur in zwingenden Ausnahmefällen in Anspruch nehmen. Um die Gleichmäßigkeit der Ausbildung und des inneren Dienstes zu fördern, wurden sächsische und preußische Offiziere gegenseitig für ein bis zwei Jahre abkommandiert. Konnten die Sachsen die Geschlossenheit ihres Offizierkorps bewahren, so standen ihnen zum anderen Vorteil alle Einrichtungen der preußischen Armee — höhere Militärbildungsanstalten, militärwissenschaftlich-technische Institute, Schießschule, Reitschule und Großer Generalstab zur Lehrgangsteilnahme offen. Das traf sinngemäß auch auf die Unteroffiziere zu. Da sich die Truppenstärke erhöhte und nicht alle Stellen zu besetzen waren, fanden rund 70 meistens adlige Offiziere aus Hannover Aufnahme im XII. Armeekorps. Im übrigen wichen die Uniformen vom preußischen Muster (Grundfarbe und Schnitt) durch generelle Eigenheiten ab, selbstverständlich auch im Hinblick auf Landeswappen und Kokarde. Ebenso behielten alle sächsischen Truppenteile ihre bisherigen Fahnen.

Sonderregelung Hessen

Sehr ähnliche Bestimmungen enthielt die mit dem Großherzogtum Hessen abgeschlossene Militärkonvention vom 7. April 1867. Sie mußte berücksichtigen, daß nur die nördlich des Mains gelegene Hälfte seines Territoriums dem Norddeutschen Bunde angehörte. Um die Einheit der »großherzoglich hessischen Armee-Division« zu erhalten, wurde sie gegen das Zugeständnis von Sonderrechten zusammengefaßt dem XI. preußischen Armeekorps angegliedert. 

Die Wehrpflichtquote von 1 % der Bevölkerung sollte nur für Oberhessen gelten, und als Erleichterung in der Übergangszeit konnte noch fünf Jahre lang die Stellvertretung bestehen bleiben. Wie es die Konvention forderte, gab der Divisionskommandeur Prinz Ludwig von Hessen, ein Anhänger der preußischen Führungsmacht in Deutschland, das Versprechen ab, sein Amt nur in Übereinstimmung mit den Befehlen des Bundesfeldherrn auszuüben. Aber erst nach monatelangem Kompetenzstreit zwischen dem Prinzen und dem hessischen Kriegsministerium, als auch ein neuer Leiter seiner Wahl die Geschäfte führte, kam die Arbeit zur Eingliederung ins neue Bundesheer voran. Die vier Infanterieregimenter behielten jedoch ihre alte Gliederung in nur zwei Bataillone. Aus ihren Schützenkompanien wurde noch ein zweites Jägerbataillon errichtet. Die beiden Reiter-Regimenter erhielten je eine fünfte Eskadron, das Artilleriekorps zwei weitere Fußbatterien, die Pionierkompanie bestand unverändert fort, eine Trainkompanie kam hinzu.


Gedenkblatt       

An der Absicht, die Infanterie später nach preußischem Muster auf drei Regimenter umzuformieren, durfte niemand zweifeln. Deswegen blieben auch die hierfür vorgesehenen durchlaufenden Nummern (Nr. 97—99) zunächst noch offen. Im Unterschied zu Sachsen erfolgten außer gegenseitigen Kommandierungen auch Versetzungen von hessischen und preußischen Offizieren. Doch trat ebenso wie in Dresden in Darmstadt für jeweils sechs Wochen zwecks Einübung ins preußische Exerzierreglement ein Lehrbataillon zusammen. Bis 1872 trugen die hessischen Truppen ihre alten Uniformen weiter; selbstverständlich wurde die Infanterie mit Zündnadelgewehren ausgerüstet.

Ausdehnung der preußischen Heeresorganisation

Von den für Schleswig-Holstein und Hannover neu errichteten Formationen lag nur ein Teil im Lande stationiert; allgemein bildeten jeweils ein altes und ein neues Regiment eine Brigade. Das norddeutsche Offizierkorps vereinigte sich zu erfolgreicher Arbeit am Auf- und Umbau des Bundesheeres. Die früheren Strukturen waren bald ganz verschwunden. Das Prinzip der Einheit hatte den Vorrang vor dem Kontingentsystem. Außer in Sachsen, Hessen und Braunschweig standen an der Spitze aller Truppen preußische Regiments- oder Bataillonskommandeure.

Die als großes Vorbild dienende preußische Heeresorganisation ruhte auf den beiden Pfeilern der allgemeinen Wehrpflicht und der allgemeinen Schulpflicht. 


    Waffenschmiede Krupp

Von jenen 600.000 Männern, die 1866 unter Waffen standen, gab es kaum 20.000, die nicht täglich ihre Zeitungen lesen konnten; 80.000 Soldaten waren auf Gymnasien, Universitäten und polytechnischen Schulen zu Staatsbeamten, Gelehrten, Fabrikanten, Kaufleuten usw. herangebildet, nur 12.000 gehörten dem Militärstande als bleibende berufliche Erwerbsquelle an. Andererseits hatten bei der Mobilmachung durch Einberufung der Landwehr jede Familie und jeder Zweig der Staatswirtschaft wie der Staatsverwaltung nachteilige Ausfälle in Kauf nehmen müssen, so daß ein derartige Opfer fordernder Militärstaat lediglich für den Defensivkrieg oder nur für einen kurzen Angriffskrieg brauchbar schien, keineswegs für willkürliche Eroberungspolitik.

Neues Heeresreglement

Da die preußische Armee während des Feldzuges gegen Österreich durchaus noch mehr oder weniger gravierende Mängel im taktischen Zusammenwirken, auch im Versorgungswesen aufgewiesen hatte, bestand kein Grund, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Demzufolge galt das gründliche Auswerten der Kriegserfahrungen für das ganze Bundesheer. 1868 forderte Moltke, die Reglementsbestimmungen stärker den Erfordernissen des Feuergefechtes anzupassen. Im Jahr darauf erschienen seine »Verordnungen für die höheren Truppenführer«, die von den Grundsätzen der Strategie über die Operationslehre bis zu den taktischen Bereichen des Kampfes verbundener Waffen alle Verhältnisse des Krieges der Gegenwart umfaßten. Hatte die Infanterie im böhmischen Feldzuge die Hauptlast tragen müssen, weil die Masse der Artillerie meistens verspätet vom Ende der Marschkolonnen nach vorn gelangt war, so führte sie ihr neuer Inspekteur, General v. Hindersin, in kurzer Zeit zu hoher Leistungsstärke. Die schweren Waffen sollten künftig frühzeitig mit möglichst großer Geschützzahl ins Gefecht treten, den Angriff der Fußtruppen mit allen Mitteln unterstützen und die Feindbatterien vorrangig bekämpfen. Die 1867 gegründete Schießschule leistete hierzu vortreffliche Dienste. Den 1866 wenig hervorgeragten Kavallerieführern wurden nachdrücklich die Aufgaben der Aufklärung, der Verschleierung und im Verfolgungsgefecht ans Herz gelegt; dies gegenüber ihrer Sucht, trotz wesentlich verstärktem Infanterie- und Geschützfeuer in der Feldschlacht selbständig zu attackieren.

Besonderes Gewicht erhielten die planenden Arbeiten am Übergangsverfahren von der Mobilmachung in den Heeresaufmarsch. Da der moderne Krieg die gesamte Wehrkraft des Staates beanspruchte und der Charakter seiner Strategie »durch das Streben nach großer und schneller Entscheidung« bedingt war, gab es keine vereinzelt und allmählich aufeinanderfolgenden Maßregeln mehr. 

Hatte die Staatsleitung den Ernstfall als unvermeidlich erkannt und den Einsatz der Armee beschlossen, ließ sich der Lauf der Dinge kaum noch anhalten. Ohnehin mußte dann der militärische Apparat auf zentralen Hebeldruck präzise funktionieren. Das erforderte Vorbereitungen bis ins kleinste Detail, die in jedem Jahr regelmäßig neu getroffen werden sollten. Genau überprüft und auf den neuesten Stand gebracht, lagen dann die jeweiligen Befehle fix und fertig zu unverzüglicher Ausführung bereit; bei allen Kommando- und Truppenstäben und allen übrigen Dienststellen.


Sanitätstransport            

Kriegsministerium und der personell erweiterte Generalstab arbeiteten Hand in Hand; das eine für die Mobilmachung, der andere für den Aufmarsch zuständig. Die Verpflegungsvorbereitungen zielten darauf ab, daß große Heeresmassen, auf engem Raum versammelt, gut mit Lebensmitteln versorgt werden konnten und im weiteren Feldzugsverlauf durch entsprechend organisiertes Etappenwesen geregelten Nachschub erhielten. Vor 1870 war es jedoch nicht mehr möglich, das herkömmliche System dezentralisierter Lieferungen auf ziviler Vertragsbasis in die Form militärischer Zentralisation umzuwandeln.

Das Sanitätswesen

Das Militärsanitätswesen erhielt seine einheitliche Leitung durch die im Kriegsministerium eingerichtete Medizinalabteilung mit dem Generalstabsarzt der Armee als Chef. Das zum Sanitätskorps vereinigte ärztliche Personal besaß damit Soldatenstatus und Vorgesetztenbefugnis gegenüber Lazarettgehilfen und Krankenwärtern. Jede Division bekam einen Divisionsarzt zur Regelung des sanitären Dienstes im Gefecht und auf den Verbandplätzen zugeteilt. Für jedes Armeekorps wurden 12 Feldlazarette vorgesehen; mit Chefärzten als selbständigen, voll verantwortlichen Leitern. Unmittelbar hinter jedem Armeekorps sollte sich ein Lazarett-Reservedepot befinden. Schließlich mußte das Land der allgemeinen Wehrpflicht unter der Flagge des Roten Kreuzes auch zum engeren Anschluß der freiwilligen, einheitlicher geregelten Krankenpflege an die militärische gelangen. Im Kriege 1866 hatte bereits ein königlicher Kommissar die Vermittlertätigkeit ausgeübt.

Eisenbahn und Heer

Hatten 1866 die Eisenbahntransporte beim Aufmarsch ihren ordnungsgemäßen pünktlichen Verlauf genommen, so galt es jetzt, die Bewegungen auf dem ständig weiterwachsenden Schienennetz noch gründlicher und umfassender vorzubereiten. Um das wichtige Verkehrsmittel aufs engste in den militärischen Organismus einzubeziehen, erfolgte bereits am 31. Januar 1867 die Bildung der selbständigen Eisenbahnabteilung im Großen Generalstab. Für den Fall eines Krieges allein gegen Frankreich standen im Bahnnetz des Norddeutschen Bundes bis 1870 sechs durchgehende Linien zur Verfügung, deren Betrieb Kommissionen aus Generalstabsoffizieren und höheren Eisenbahnbeamten zu lenken hatten. Die Tagesleistung der eingleisigen Bahn konnte auf 12, die der zweigleisigen auf 18 Züge gesteigert und die jeweilige Achsenzahl so weit vermehrt werden, daß der Transport eines Armeekorps über eine Strecke von 750 km nur noch fünfeinhalb, im besten Falle sogar bloß dreieinhalb Tage dauerte. Wenn die Truppen ihre Mobilmachung beendet hatten, mußten die Massentransporte wenige Stunden später beginnen. 


       Eisenbahntransport

Die zur Konzentration entworfenen Marsch- und Fahrtafeln waren den Stäben zeitgerecht zuzuleiten. Nicht wie ursprünglich vorgesehen am 12., sondern schon am 10. Mobilmachungstage sollten die ersten Abteilungen in Grenznähe ausgeladen sein, die ersten beiden Armeekorps nicht am 15., sondern am 13. Tage, die ganze Streitmacht von zunächst 300 000 Mann nicht am 24., sondern bereits am 20. Tage mit fast allen Trains. Auch das Personal und Material für die Nachrichtenübermittlung wurde bereitgehalten. 

Nach der dem Operationsplan zugrundeliegenden Heereseinteilung hatte das preußische Pionierkorps die Kader zur Aufstellung von sieben Telegraphenabteilungen abzuzweigen; für das große Hauptquartier, die drei Armeen und ihre General-Etappeninspektionen. Die Bedienung der Apparate besorgten Staatsbeamte. Im deutsch-französischen Krieg sollte aber schnell zutage treten, daß die friedensmäßigen Vorbereitungen doch nicht ausgereicht hatten. Die kommandierten Pionier-Detachements waren im praktischen Umgang mit dem technischen Kommunikationsmittel noch zu ungeübt, und es mußten vier weitere Abteilungen für Front und Etappe auf den sich ständig ausdehnenden Kriegsschauplatz nachgeschickt werden. Im übrigen galt ab 5. September 1867 bzw. 1. Januar 1868 im gesamten Bundesgebiet die neue einheitliche Landwehr-Ordnung. Nach Bezirken gegliedert, bestanden ihre preußischen Regimenter jeweils zu zwei Bataillonen analog den Regimentsnummern der Linieninfanterie, meistens mit ihr an gleichen Standorten. Die Landwehr der Kleinstaaten (Rgtr. Nr. 89—96) zählte nach preußischem Muster 16 Bataillone, in Sachsen 17, im Großherzogtum Hessen vier Bataillone.